Begriffserläuterung

Der Begriff der Hochsensibilität, auch Hypersensibilität oder Hochsensitivität, wurde erstmals in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre von der US-amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron wissenschaftlich untersucht. Er beschreibt sowohl eine hohe Sensitivität für subtile Reize als auch eine leichte Übererregbarkeit. Hochsensibilität befasst sich mit der individuell unterschiedlichen Intensität der psychologischen und neurophysiologischen Verarbeitung von Reizen.

Jedes Individuum verarbeitet Erlebtes auf einem stabilen, zeitlich überdauernden Niveau. Dieses ist jedoch zwischen Individuen unterschiedlich hoch (Sensory Processing Ssensivity (SPS), sensorische Verarbeitungsintensität).

Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal

HochsensibilitätIn ein und derselben Situation reagieren manche Menschen gar nicht oder sehr spät und andere äußerst stark oder sofort. Jede Person hat offenbar ihren eigenen inneren „Lautstärkeregler“ bei der Verarbeitung von sensorischen Reizen (Lärm, Licht, Geruch, Geschmack, Schmerz), aber auch von emotionalen Reizen (Mimik, Gestik, Tonalität, …) und der Wahrnehmung der eigenen Gedanken, Gefühle und Stimmungen. Die Fähigkeit, komplexe Systeme übermäßig rasch zu erfassen und analysieren zu können, fällt in die Kategorie kognitive Hochsensibilität. Je nachdem, in welcher Kategorie eine Person Reize besonders stark verarbeitet, liegt hierauf der Schwerpunkt der Hochsensibilität. Die Reaktion kann besonders ausgeprägt, sogar aggressiv sein. In der Mehrzahl zieht sich der Betreffende jedoch zurück, kapselt sich ein und vermeidet präventiv Alltagssituationen (sozialer Rückzug), die als besonders negativ empfunden werden.

Hochsensibilität wird in der Psychologie ausdrücklich nicht als Störung oder Krankheit, sondern als individuelle Eigenschaft verstanden. Bei Wissenschaftlern und Psychologen gehen die Auffassungen auseinander, ob es sich dabei um ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal handelt oder ob Hochsensibilität eine durch Sozialisation erworbene Eigenschaft ist. So oder so gibt es aufgrund der höheren psychischen Verletzbarkeit ein erhöhtes Risiko psychisch und / oder physisch zu erkranken. Nach überwiegenden Schätzungen sind etwa 15 – 20% der Bevölkerung hochsensibel. Diese beruhen jedoch auf Selbsteinschätzungen anhand von Fragebögen, nicht auf Diagnosen.

Selbsttest auf Hochsensibilität

Im Internet kursieren dutzende Tests auf Hochsensibilität – mehr oder minder seriös und wissenschaftlich fundiert. Wenn Sie einen Selbsttest auf Hochsensibilität durchführen möchten, empfehlen wir, die Fragen spontan und ohne bewusstes Nachdenken zu beantworten. Ebenso dürfen Sie die Fragen nicht mit der Absicht beantworten, ein bestimmtes Ergebnis erzielen zu wollen – denn genau dieses erzielen Sie dann auch (sich selbst erfüllende Prophezeiung).

Der „Ur-Test“ von Elaine N. Aron aus dem Jahr 1996 umfasst 27 einfache Ja/Nein-Fragen.

In deutscher Sprache finden Sie ihn hier: https://hochsensibilitaet-netzwerk.com/hochsensibel-test/

Im Original finden Sie ihn auf der Website von Alaine N. Aron https://hsperson.com/test/highly-sensitive-test/

Dort stehen zwei weitere Tests zur Verfügung:

  1. Ist Ihr Kind hochsensibel?
  2. Sind Sie ein High Sensation Seeker (HSS)?

Sensation Seeking ist das stetige Suchen nach neuen Erlebnissen und Eindrücken. Es ist eine Eigenschaft, die Menschen dazu verleitet, immer weiter an die eigenen Grenzen zu gehen und Neues auszuprobieren. Sensation Seeking kann harmlos sein, aber auch gefährlich werden.

Kann man Hochsensibilität „senken“?

Nein. Vielmehr muss es zunächst Ziel sein, die Reize, deren Niveaus und evtl. auch bestimmte Situationen herauszufinden, auf die / in denen eine Person hochsensitiv reagiert. Beispiel: Wenn das eigene Kind schreit, fehlt ihm was. Wenn fremde Kinder schreien, sind es schlecht erzogene „Schreihälse“. Hochsensibilität unterliegt also auch einem „Interpretationsspielraum“.

Die Entwicklungspsychologin Francesca Lionetti hat eine einfache Metapher zu Kategorisierung von Sensibilität eingeführt: Orchidee (hohe), Tulpe (mittlere) und Löwenzahn (niedrige) – alle 3 Arten gedeihen mit unterschiedlichen Wassermengen, Lichtverhältnissen und Bodenbeschaffenheiten und alle 3 Arten reagieren unterschiedlich stark auf Abweichung von der für sie optimalen Umgebung. Alle sind anders. Niemand ist krank.

Wie gehe ich mit der eigenen Hochsensibilität um?

Einerseits wollen wir alle individuell sein und mit unserer Individualität anerkannt werden. Gleichzeitig wollen wir alle „dazugehören“ und nicht als Außenseiter empfunden werden. Jeder sollte sich bewusst machen, was er braucht, was er mag und was nicht und hierbei mit sich und anderen offen umgehen.

Wer grölende Menschenmassen nicht mag, kann das kommunizieren und sollte Schlagerkonzerte meiden, auch wenn alle Freunde, Bekannten und Nachbarn dort sind. Bei Baustellenlärm schließt jeder die Fenster – der eine früher, die andere später. Jeder sollte sich bewusst machen, welche Situationen er ganz persönlich als (höchst) unangenehm, störend oder belastend empfindet und wie er hierauf mildernd Einfluss nehmen oder ausweichend reagieren kann.

Zwei bekannte Methoden sind die Selbstbeschwichtigung „ach komm, das geht auch vorbei“ und das bewusste „Durchatmen“ zur Entspannung. Um bei Hochsensibilität einen allgemein hohen „Gereiztheitsspiegel“ zu senken, eignen sich systematische Entspannungsmethoden wie Wellness, Meditation oder Yoga. Auch Ausweichstrategien machen Sinn. Nerven Staus auf der Autobahn? Mit dem Zug gelangt man auch ans Ziel. Ein bisschen Pippi Langstrumpf steckt in jedem von uns und darf gerne gelebt werden: „Ich mach‘ mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt.“ Auch einen zeitlich begrenzten Rückzug, das kontemplative (besinnliche, betrachtende) Alleinsein soll man sich erlauben und in die Tat umsetzen. Gute Freunde reagieren auf Hochsensibilität in ihrem sozialen Umfeld mit Akzeptanz und Unterstützung. Kommentare wie „stell Dich nicht so an“ oder „Spaßbremse“ dürfen ganz unsensibel ignoriert oder zurückgewiesen werden.

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