Sollte ich für die Prüfung schon ICD-11 lernen oder noch ICD-10?

Immer häufiger werden wir von Schülerinnen und Schülern gefragt, ob die ICD für sie überhaupt relevant ist und wenn ja, welche ICD-Version in ihrer Prüfung und für spätere Tätigkeiten wichtig sein wird: ICD-10 oder ICD-11? Tatsächlich geht die ICD wohl an keinem Prüfling, Heilpraktiker oder sektoralen Heilpraktiker vorbei, auch wenn für Komplementärmediziner keine gesetzliche Pflicht zur Anwendung besteht.

Was ist die ICD? – Eine kurze Erläuterung

icd-11 icd-10 icd-10-gm icd-11-gm heilpraktikerDie Internationale statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Problems) wurde erstmalig im Jahr 1900 erstellt und diente damals der statistischen Auswertung von Todesursachen (Mortalität). Inzwischen wird das weltweit anerkannte Klassifikationssystem auf medizinische Diagnosen angewendet und erlaubt Analysen zur Morbidität. Die ICD wird zwischen den Mitgliedsstaaten der WHO (Weltgesundheitsorganisation) vereinbart und regelmäßig überarbeitet (Revisionen). Im Jahr 2019 wurde die ICD-11 (ICD-11-WHO)verabschiedet und trat am 1. Januar 2022 in Kraft.

Welche ICD-Version gilt in Deutschland?

Die Mitgliedsstaaten der WHO, darunter auch Deutschland, können landesspezifische Anforderungen einarbeiten. Solche Varianten werden mit einer Übergangszeit von mindestens 5 Jahren an die jeweils aktuelle WHO-Revision angepasst.

Federführend ist hierzulande das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Mit Stand August 2023 gilt: „Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification (ICD-10-GM) ist die amtliche Klassifikation zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung in Deutschland.“ (Quelle: bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-10-GM/_node.html)

Jeweils zum 1. Januar erscheint eine Aktualisierung. Diese ist für 2024 bereits angekündigt, sodass die ICD-10-GM auch im kommenden Jahr angewendet wird – nach unserer Einschätzung bis mindestens 2027.

Gibt es eine Pflicht zur Anwendung der ICD?

Die Pflicht zur Kodierung von Diagnosen nach ICD in der gültigen deutschen Fassung ist im fünften Sozialgesetzbuch festgelegt. Für den stationären Bereich gilt § 301 SGB V. Die Pflicht wird in § 295 SGB V auf den ambulanten Bereich übertragen. Demnach sind Vertragsärzte  und Vertragspsychotherapeuten verpflichtet, Diagnosen auf Abrechnungsunterlagen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) nach der ICD-10-GM zu kodieren (Stand August 2023).

Also betrifft das HP und HP-Psych gar nicht? Doch, denn Private Krankenversicherungen (PKV), Beihilfestellen und Zusatzversicherungen übernehmen Therapiekosten, die ein HP in Rechnung stellt, vorausgesetzt der Patient hat einen entsprechenden Vertrag / Tarif abgeschlossen. Kosten für einen sektoralen HP (Heilpraktiker für Psychotherapie) werden in Einzelfällen und nach individueller Absprache von einigen KVen für „Übergangstherapien“ erstattet (bis ein kassenzugelassener Psychotherapeut gefunden ist). Da die ICD-Kodierung von der PKV oder Beihilfestelle benötigt wird, ist sie auch ohne gesetzliche Pflicht für Kostenerstattungen in Klientenabrechnungen anzugeben.

Warum wird die ICD regelmäßig aktualisiert?

Umweltbedingungen, Technologien, wissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch gesellschaftliche Einstellungen ändern sich im Laufe der Zeit.

Einige Beispiele:

  1. Transidentität ist in der ICD-10 mit der Diagnose „Transsexualismus“ unter „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ eingeordnet. Die ICD-11 geht hier weiter, indem „Geschlechtsinkongruenz“ nicht mehr pathologisch bewertet wird, sondern in die neue Rubrik „Bedingungen im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit“ einsortiert wird.
  2. In den 1990ern spielten Computerabhängigkeit (Gaming Disorder) und zwanghaftes Horten (Hoarding Disorder / Messi-Syndrom) kaum eine Rolle. Aufgrund der Durchdringung der digitalen Medien (Social Media,E-Sports, …) in vielen Gesellschaften steigt die Bedeutung „digital ausgelöster“ psychischer Probleme und Störungen.
  3. Auch Burnout spielte in der ICD-10 kaum eine Rolle. In der ICD-11 wird er nun umfassender berücksichtigt, jedoch nicht als Störung, sondern als (berufsbedingter) Faktor, der Störungen auslösen kann.

Auch wenn die Unterschiede in der Diagnostik von ICD-10 und ICD-11 vielfältig sind, bleiben die Diagnosekriterien weitgehend erhalten. Eine Depression wird durch die gleichen Kriterien diagnostiziert wie bisher.

Was ist neu in der ICD-11?

Die ICD-11 wurde gegenüber der ICD-10 in mehreren Bereichen geändert. Stärkere Berücksichtigung finden die

  • Prävention von Krankheiten,
  • Gesundheit von Menschen mit Behinderungen,
  • Gesundheit von Menschen mit chronischen Krankheiten,
  • Gesundheit von Menschen mit psychischen Erkrankungen und die
  • Gesundheit von Menschen mit sexuellen und reproduktiven Gesundheitsproblemen

ICD-10 und ICD-11: Bedeutung für die Überprüfung vor dem Gesundheitsamt

Die ICD-10-GM wird seit Januar 2000 angewendet und ist fest im deutschen Gesundheitssystem verankert. In der Prüfung müsst ihr also fit in der Anwendung und Diagnostik der ICD-10-GM sein. Ihr solltet die Kapitel und Hauptkategorien benennen können, wichtige Krankheits- bzw. Störungsbilder den Hauptkategorien zuordnen und beschreiben können.

Die „Wandlung“ zur ICD-11-GM wird noch einige Jahre benötigen. Auf Anfrage haben zwei große Gesundheitsämter (Köln und Düsseldorf) mitgeteilt, dass die ICD-11 aktuell nicht prüfungsrelevant ist, sondern die ICD-10. Ihr könnt aber mit „Zusatzwissen“ glänzen und die Prüfenden sicher beeindrucken, wenn ihr grundlegende Überlegungen zu den Klassifikationen, tendenzielle Unterschiede und Erweiterungen der ICD-11 in eure Antworten einfließen lasst.

Hier findet ihr unsere Angebote speziell für die Vorbereitung auf die Kenntnissüberprüfung vor dem Gesundheitsamt für Heilpraktiker und Heilpraktiker für Psychotherapie. Die Veranstaltungen stehen allen offen und sind nicht auf Schüler der HPSW beschränkt.